„Zuwanderung war schon immer…“: Podiumsdiskussion im Landesmuseum Hannover

Rund 120 interessierte Gäste waren am Montagabend, 24. April 2017, ins Foyer des Landesmuseum Hannover gekommen, um den Beiträgen kompetenter Expertinnen und Experten zum Thema „Einwanderungsland Niedersachsen“ zu folgen. Zu dieser Veranstaltung im Rahmen der Sonderausstellung „Immer Bunter. Einwanderungsland Deutschland“ (7. April bis 6. August 2017) hatte die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, gemeinsam mit der Direktorin des Landesmuseums, Prof. Dr. Katja Lembke, geladen.

Niedersachsen blickt auf eine mehr als 70-jährige Geschichte zurück, die maßgeblich von der Einwanderung von Millionen von Menschen geprägt ist. Vor diesem von der Ausstellung eindrucksvoll erzählten historischen Hintergrund skizzierte Schröder-Köpf in ihrem einleitenden Grußwort sogleich wegweisende Fragen für einen umfassenden Dialog: „In welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben? Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Was müssen wir tun, um von einem Einwanderungsland zu einer modernen Einwanderungsgesellschaft zu werden? Oder sind wir das bereits?“ Dabei seien noch viele Hürden aus dem Weg zu räumen, auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie im Bereich Schule und Bildung, wo jedes dritte Kind aus einer Einwanderungsfamilie stamme, betonte Schröder-Köpf. Besonders aber stehe die mentale Wandlungsfähigkeit der Gesellschaft zur Debatte, „in der Diversität und Vielfalt als Normalität wertgeschätzt oder zumindest anerkannt wird.“

Anschließend begrüßte Prof. Lembke die rund 120 Besucherinnen und Besucher herzlich. Dabei stellte sie einige Einwanderungsaspekte vor, die in der Ausstellung thematisiert werden. Zuwanderung und Integration, so Lembke, seien besonders seit dem Zweiten Weltkrieg eine Kontante der deutschen Geschichte, die nie ohne gesellschaftliche Erschütterungen und Zerwürfnisse vonstattengegangen sei, heute aber gleichsam eine Realität darstelle, die im Alltag vieler Millionen Menschen mit Selbstverständlichkeit und Unverkrampftheit gelebt wird.

Dr. Jens Schneider vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück stellte ebenso das Merkmal der Vielfalt und Pluralität unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt seines Impulsvortrags. Insbesondere in einigen süddeutschen Großstädten, wo Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte oft mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, werde diese „Super-Diversität“ sichtbar. Klassifizierungen in (deutsche) „Mehrheit“ und (migrantische) „Minderheiten“ werden dieser allerdings längst nicht mehr gerecht. Zudem sei die ethnische Herkunft mittlerweile für Millionen von Menschen nur noch eines von vielen Merkmalen ihrer Identität. Neben der Anpassung der gesellschaftlichen Mentalität plädierte Schneider mit nach vorn gerichtetem Blick für eine aktive Gestaltung der Zuwanderung in die Städten und Kommunen, denn: „Das Ankommen braucht Strukturen“. In dieser Hinsicht sei auch von den frühen Einwanderergenerationen (z.B. den so genannten „Gastarbeitern“) viel mehr an Vorarbeit geleistet worden, als gemeinhin anerkannt werde.

In der folgenden von Christoph Dannowski lebhaft moderierten Podiumsdiskussion wurde aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert, was eine moderne Einwanderungsgesellschaft ausmacht. Filiz Polat, Mitglied des Niedersächsischen Landtags und dort auch Vorsitzende der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe, betonte, dass viele Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte sich sowohl ihrer Heimat Deutschland als auch ihren Herkunftsländern bzw. denen ihrer Eltern und Großeltern verbunden fühlen. Dieser Lebensrealität könne eine Einwanderungsgesellschaft u.a. nur gerecht werden, wenn sie bipolare Sprachgebräuche („Hier wir, da Ihr“) überwindet und „Integration“ als Aufgabe aller wahrnimmt.

Auch Seda Rass-Turgut, Osnabrücks Integrationsbeauftragte, stört sich an einer von ressentimentbeladenen Symboliken geprägten Debattenkultur, in der die Sichtweisen von Migrantinnen und Migranten oftmals zu kurz kämen. Diese Vorbehalte griff die Journalistin Joanna Maria Stolarek auf und verwies zugleich auf den bedauerlichen Umstand, dass obwohl mehr als zwanzig Prozent der in Deutschland lebenden Menschen eine Zuwanderungsgeschichte haben, dies nur bei jeder fünfzigsten Journalistin und jedem fünfzigsten Journalisten der Fall ist. Auf diese Weise werde die Perspektive von mehr als einem Fünftel der Bevölkerung vernachlässigt. Migrantinnen und Migranten hätten es im Medienbereich nach wie vor schwer Fuß zu fassen, auch wenn sie gut ausgebildet und hochmotiviert sind. Stolarek, Vorstandsmitglied der Neuen deutschen Medienmacher, fordert nicht zuletzt deshalb verbesserte Teilhabemöglichkeiten, damit sich die Vielfalt an Perspektiven einer Einwanderungsgesellschaft auch in der medialen Berichterstattung widerspiegeln kann.

Schließlich berichtete Dr. Joachim Baur von seinen Erfahrungen als Kurator des Museums Friedland. Wie kaum ein anderer Ort in Niedersachsen sei Friedland ein Symbol der Zuwanderung und zugleich der Zuversicht: „Man schafft das irgendwie“, solange nachhaltige Aufnahmestrukturen geschaffen werden und man einen langen Atem behalte.

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