Den einzelnen Menschen im Blick – Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnen

Ob große oder kleine Unternehmen – viele suchen in Zeiten des demografischen Wandels händeringend nach Nachwuchs und Fachkräften. So wirbt die Deutsche Bahn mit ihrer Kampagne „Willkommenskultur, Qualifizierung und Integration“ gezielt um Flüchtlinge. Markus Tolle, ein Bäckermeister aus Königslutter spricht klare Worte in den Helmstedter Nachrichten: „Wir brauchen motivierte und gute Kräfte.“ Gerade in weniger attraktiven Bereichen bleiben viele Lehrstellen unbesetzt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt auf, dass ohne Zuwanderung die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland von derzeit rund 45 Millionen um rund 8,5 Millionen bis 2030 und weitere 8,7 Millionen bis 2050 schrumpfen wird.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sieht den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr, wenn es nicht gelingt „diese dramatische Entwicklung zumindest abzubremsen und Fachkräftelücken zu schließen“, so Kramer in DIE Welt. In einer im Juli veröffentlichten Broschüre der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) heißt es: „Menschen mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen stellen eine wichtige wirtschaftliche Ressource dar. […] auch unter Asylsuchenden gibt es Menschen mit guten Qualifikationen und am Arbeitsmarkt gefragten Berufserfahrungen, die besser genutzt werden sollten.“ Die BDA fordert daher unter anderem Maßnahmen zum Spracherwerb, einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang und für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein humanitären Ausbildungsaufenthalt.

Auch die Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, weist darauf hin, dass vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und dem Fachkräftemangel die Chancen der Zuwanderung oftmals nicht gesehen werden. „Wir müssen den einzelnen Menschen in den Blick nehmen. Viele Menschen, die zu uns kommen, sind hoch motiviert und wollen arbeiten, sie verfügen bereits über Berufserfahrung und gute Qualifikationen, die der deutsche Arbeitsmarkt benötigt. Betriebe wie Zugewanderte gilt es unterstützen, damit passende Bewerberinnen und Bewerber auch die passende Stelle finden.“

In Niedersachsen werden Flüchtlinge sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerber frühzeitig an den Arbeitsmarkt herangeführt, um ihre Chancen auf Beschäftigung zu verbessern. Gemeinsam mit der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zielt das Kooperationsprojekt „Kompetenzen erkennen – Gut ankommen in Niedersachsen“ darauf ab, Potenziale und Kompetenzen von Flüchtlingen bereits in den Landesaufnahmestellen zu erkennen. Die personenspezifisch erhobenen Daten werden direkt in die EDV der Bundesagentur für Arbeit aufgenommen und stehen anschließend den regionalen Agenturen für Arbeit, den Jobcentern und den Kommunen für die Arbeit zur Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen, Asylbewerbern und Flüchtlingen vor Ort zur Verfügung. Die bei diesem Projekt anfallenden Sachkosten und die Hälfte der Personalkosten übernimmt das Land. Für die Laufzeit von Juni 2015 bis Mitte 2017 werden eine Million Euro zur Verfügung gestellt.

Im November letzten Jahres hatte die Bundesregierung die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis beantragen dürfen. Allerdings muss die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitsaufnahme zustimmen. Grundlage dafür ist in der Regel eine sogenannte Vorrangprüfung. Dabei wird geprüft, ob für die angestrebte Arbeitsstelle ein deutscher oder EU-Arbeitnehmer in Betracht kommt. Ist dies nicht der Fall, wird die Zustimmung erteilt. Die Vorrangprüfung entfällt unter anderem, wenn Ausländer sich mindestens 15 Monate ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufhalten, wenn sie einen anerkannten ausländischen Hochschulabschluss besitzen und in einem Mangelberuf Anstellung finden.

 

Quellen:

Beye, Erik 2015: Azubis sind immer häufiger Asylsuchende. In: Helmstedter Nachrichten vom 21. August 2015, S. 21. 

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hg.) 2015: FACHKRÄFTEMANGEL BEKÄMPFEN – WETTBEWERBSFÄHIGKEIT SICHERN. Handlungsempfehlungen zur Fachkräftesicherung in Deutschland, Berlin.  

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: Aktuelle Berichte. Zentrale Befunde zu aktuellen Arbeitsmarktthemen, Nürnberg.  

Siems, Dorothea 2015: Wie Migranten Deutschlands Wohlstand retten sollen. Forderungskatalog der Arbeitgeber sieht mehr Zuwanderung und längere Arbeitszeiten vor. In: DIE WELT vom 24.08.2015, S. 9.

 

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